Trauma und Trauer: Verarbeitung von Extremsituationen

Interview mit 20 Minuten vom 23. Januar 2024

Einen Tag nach dem verheerenden Brand postete die Mutter der drei verstorbenen Kinder ein Bild einer Trauerkerze auf Facebook. Unter dem Beitrag häufen sich Beileidsbekundungen. Die Traumatherapeutin Raffaela Witting erklärt, wie unterschiedlich Menschen mit Trauer umgehen.

Wie reagieren Menschen auf solche Schicksalsschläge?

Laut Raffaela Witting ist die Verarbeitung von Extremsituationen ein sehr komplexer und individueller Prozess, da Menschen unterschiedlich auf belastende Ereignisse reagieren. «Einige können emotional überwältigt sein, während andere gefasst erscheinen. Einige können sofort mit der Trauer und dem Schock umgehen, während andere Zeit brauchen, um die Realität zu akzeptieren.» In den ersten Momenten könne der Schock so gross sein, dass Trauernde die Realität vorübergehend verleugnen. Dies diene als Schutzmechanismus, um die Flut von Trauer, Angst oder auch Wut zu bewältigen.
Die Eltern haben überlebt, die Kinder nicht: «Die Reaktionen auf einen solchen Verlust können sehr vielfältig sein, von Schock und Verleugnung bis hin zu intensiver Trauer, der Suche nach Antworten oder Schuldgefühlen», erklärt Witting. Es sei wichtig den Eltern Raum für ihre Trauer zu geben, um ihnen bei der schrittweisen Heilung zu helfen.

Wie können Betroffene solch ein Trauma bewältigen?

«Bestimmte Rituale einzuführen, die Erinnerungen an gute Zeiten bewahren und das Gedenken der Verstorbenen können förderliche Elemente sein», so Witting. Auch das soziale Umfeld könne durch offene Kommunikation, Verständnis und Mitgefühl einen bedeutenden Unterschied machen. «Ebenso kann das Teilen von Erfahrungen mit anderen, die ähnliche Verluste erlitten haben, für die Trauernden unterstützend sein.»

Was hilft bei der Bewältigung, was schadet?

Die Unterstützung durch Fachpersonen wie Therapeuten oder Psychologen sei hilfreich. «Die Verarbeitung erfordert viel Geduld und Zeit, denn es wird Höhen und Tiefen auf dem Weg geben. Es ist wichtig zu verstehen, dass Trauer und Trauma nicht einfach ‹geheilt› werden können, aber sie können im Laufe der Zeit bewältigt und integriert werden.»
Die Traumatheraeutin betont, dass es bestimmte Verhaltensmuster gibt, die den Trauer- und Heilungsprozess verzögern oder erschweren können. Dazu gehören beispielsweise das Unterdrücken von Emotionen oder der Rückzug in die Isolation.

Macht es einen Unterschied, in welcher Beziehung die Betroffenen zueinander stehen?

Gemäss Witting schon. «Besonders die Bindung zwischen einer Mutter und ihren Kindern ist oft von einer tiefen Verbundenheit geprägt. Der Verlust von Kindern kann daher für eine Mutter besonders schmerzhaft und traumatisch sein.»

Wie kann man als Freund oder Angehöriger in den ersten Tagen helfen?

In den ersten Tagen sei es entscheidend, den Betroffenen sofortige Unterstützung anzubieten. «Dies kann durch enge Freunde, Familienmitglieder, Geistliche oder professionelle Helfer erfolgen, um emotionalen Beistand zu leisten», sagt die Traumatherapeutin. Und: Da im Trauerprozess alltägliche Aufgaben überwältigend sein können, helfe es womöglich, Dinge wie das Einkaufen oder das Kochen zu übernehmen.

Wie soll man mit Trauernden umgehen?

Vor allem sei es wichtig, die unterschiedlichen Trauerreaktionen zu akzeptieren, ohne Urteile zu fällen. Witting weiss aus beruflicher Erfahrung: «Jeder Mensch trauert auf seine Weise, und es gibt keine festen Regeln dafür, wie Trauer auszusehen hat.» Eine unterstützende Umgebung zu schaffen, in der die Betroffenen ihre Gefühle und Gedanken teilen können, sei wichtig. «Manchmal kann einfach nur zuhören, ohne Ratschläge zu geben, sehr hilfreich sein.» Es gebe keine perfekten Worte oder Handlungen, um den Schmerz der Trauernden zu lindern. «Jedoch kann das Dasein, Zuhören und das Zeigen von Mitgefühl einen erheblichen Beitrag leisten», weiss Witting.

 

Der Link zum Artikel findet sich hier: Schock und Schuldgefühle: «Die Reaktionen können vielfältig sein»

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